Audi stattet Händler mit Virtual-Reality-Technik aus

Autor: Jan-Keno Janssen

Ins Auto setzen, drum herumlaufen, mit Röntgenblick durchleuchten, auf den Mond beamen: Audi will den Autokauf mit Virtual Reality aufpeppen. Wir haben das ambitionierte Projekt kurz vor der Vorstellung auf der CES 2016 in Ingolstadt ausprobiert.

Was macht das Auto auf dem Mond? Und wieso kann ich auf einmal durch Blech gucken? Das sind die Fragen, die man sich stellt, wenn man Audis „VR Experience“ zum ersten Mal ausprobiert. Eine andere Frage stellt man sich danach nicht mehr: War Virtual Reality nicht mal für Spiele gedacht?

Mit seinem Projekt zeigt der Autohersteller anschaulich, dass man mit VR auch ganz ernsthafte Dinge anstellen kann – zum Beispiel Autos verkaufen. Dabei drängt sich der Einsatz beim Autohändler fast auf: Pkw-Hersteller bieten Millionen unterschiedliche Fahrzeug-Konfigurationen an – es ist völlig unmöglich, als Händler alle Kombinationen vorrätig zu haben. In einem virtuellen Showroom kann sich der Kunde dagegen jedes Modell in jeder Ausstattung in jeder Farbe ansehen.

Konkret funktioniert Audis VR-Anwendung so: Der potenzielle Kunde bekommt eine VR-Brille aufgesetzt und findet sich am virtuellen Steuer wieder. Der Händler kann über ein Tablet alle Ausstattungsvarianten auswählen: Lieber schwarze Ledersitze oder doch rote? Die Anwendung führt aber nicht nur Farben und Felgen vor, sondern gibt jedes Detail am Fahrzeug wieder – sogar die Halteösen für Isofix-Kindersitze kann man deutlich erkennen, wenn man sie ausgewählt hat.

Die unter Audis Regie von einem phasenweiseweise bis zu 20-köpfigen Team entwickelte VR-Anwendung gibt es in zwei Varianten: Einmal in einer „Sitzversion“ mit Oculus-Rift-Brille und einmal in einer aufwendigeren Variante mit Raum-Tracking, die mit der HTC Vive umgesetzt wurde. Audi zeigt beide Anwendungen im Januar auf der CES.

In der HTC-Vive-Version kann man aufstehen und um das Auto in einem Bereich von fünf mal fünf Metern herumlaufen. In der Sitzversion ändert normalerweise der Händler auf dem Tablet die Betrachtungsposition. Will man das Fahrzeug von außen begutachten, kann der Händler den Kunden vom Fahrersitz nach draußen beamen. Experimentierfreudige Kunden können sich auch selbst mit einer speziellen Fernbedienung durch die VR-Umgebung bewegen und Aktionen auslösen – zum Beispiel den Kofferraum öffnen.

In beiden System-Varianten ist der Detailgrad extrem hoch: Jedes Schräubchen kann man genau erkennen – und ist die Schraube hochglanzpoliert, spiegelt sich sogar die Umgebung darin. Geht man ganz nah ans Auto heran, aktiviert dies den „Röntgenblick“: Man kann sich dann anschauen, was sich unter dem Blech befindet, zum Beispiel die Scheibenbremsen hinter den Alufelgen oder die Kolben im Motorblock.

Der hohe Detailgrad erfordert viel Rechenpower: Jedes Automodell in der VR-Simulation besteht aus fünf bis sieben Millionen Polygonen, hinzu kommen etwa eine Million Polygone für die fotorealistischen Umgebungen – zum Beispiel die Mondoberfläche. All das muss ruckel- und latenzfrei bewegt werden: Während ein kleiner Zuckler auf einem 2D-Display nicht so problematisch ist, können Framerate-Einbrüche und hohe Latenzen bei Virtual Reality das Mittendrin-Gefühl komplett zerstören und sogar Übelkeit auslösen. Anders als bei 2D-Spielen reichen keine 40 Bilder pro Sekunde: Aktuelle VR-Brillen müssen 90 Bilder pro Sekunde angeliefert bekommen.

Fotorealismus und keine Ruckler: Diese beiden Anforderungen haben dem Team um Projektleiter Marcus Kühne zunächst einiges Kopfzerbrechen bereitet.

Als wir Anfang 2014 mit dem Projekt begannen, haben wir zunächst alle verfügbaren Visualisierungs- und Game-Engines getestet

berichtet Kühne. Das Ergebnis sei ernüchternd gewesen.

Keine Engine konnte zu diesem Zeitpunkt unsere hohen Ansprüche erfüllen

so der Projektleiter. Drehte er die Parameter so hoch, dass die Fahrzeuge gut aussahen, brach die Framerate ein.

Unterstützt von der Softwarefirma Zerolight aus Großbritannien hat Audi schließlich eine eigene, auf Auto-Renderings spezialisierte Engine entwickelt, die auf Unity aufsetzt. Zusammen mit zwei leistungsstarken Nvidia-M6000-Grafikkarten im SLI-Verbund schafft das System stabile Frameraten. Gemeinsam mit Nvidia hat Audi Mitte 2014 einen eigenen VR-SLI-Treiber geschrieben – acht Monate vor Nvidias offiziellem Treiber. Die beiden Firmen arbeiten schon länger zusammen; so stecken in vielen Autos Nvidia-Tegra-SOCs. Der große Aufwand scheint sich auszuzahlen: Bei unserem ausführlichen Probelauf fiel kein einziger Ruckler auf – sehr ungewöhnlich bei VR-Demos.

Die 3D-Modelle werden von Audi übrigens nicht manuell nachgebaut, sondern fließen direkt aus den Original-„Bauplänen“ im CAD-Programm Catia über mehrere teilautomatisierte Zwischenschritte in die Virtual-Reality-Engine – und zwar „Produkt-korrekt“, wie es in der Branche heißt: Jedes noch so kleine Detail (wie zum Beispiel die Form der Lufteinlässe) entspricht immer dem aktuellen Produktstand.

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